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Wiesbaden im Biedermeier

Reportagen


Wiesbaden - die nassauische Residenzstadt im Biedermeier


Während sich die Hoffnungen auf ein Stadtmuseum in Wiesbaden einmal mehr zerschlagen haben, hat sich die Casino-Gesellschaft als ein Ort ambitionierter Ausstellungen mit stadt- und landesgeschichtlichem Bezug etabliert. Nach „Napoleon und Nassau“ 2006 und einer der Malerin Angelika Kaufmann gewidmeten Ausstellung 2012 stellt die Casino-Gesellschaft nunmehr „Wiesbaden – Die nassauische Residenzstadt im Biedermeier“ vor. Sie widmet sich damit jener Epoche, der sie selbst entstammt.

Täglich außer Montag bis 10. April in der Casino-Gesellschaft

1816 genehmigte Herzog Friedrich August die Gründung einer Gesellschaft mit dem Ziel, gesellige, wissenschaftliche und kulturelle Veranstaltungen durchzuführen. Sie zählt somit zu den ältesten bürgerlichen Vereinigungen der Stadt und entstand in einer Zeit, als sich allerorten die Männer aus der bürgerlichen Oberschicht zusammenschlossen, um die Geselligkeit zu pflegen und Neuigkeiten zu diskutieren. Das 1872-74 von Wilhelm Bogler errichtete Gebäude in der Friedrichstraße zählt zu den schönsten Repräsentationsbauten der Stadt. In diesem bemerkenswerten Rahmen spürt die facettenreiche Ausstellung dem Wesen der Stadt im Biedermeier nach.

Was ist Biedermeier? Man denkt an den Rückzug ins Private, an Hausmusik in geselliger Runde, gediegenes Mobiliar, das Gemütlichkeit verströmt. Nach eigenem Bekunden haben die Kuratoren viel über die Frage gestritten und die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit der Epoche zum Auftakt der Ausstellung thematisiert.

Auftakt im Treppenhaus

Im grandiosen Treppenhaus empfängt die großformatige Darstellung der Kurgesellschaft in den Gärten des Kursaals den Besucher. Darunter das Porträt des Herrn, der der Epoche seinen Namen gegeben hat: Gottlieb Biedermeier, Schulmeister in Schwaben. Eine Kunstfigur aus den „Fliegenden Blättern“ und später das Gesicht der Zeit, als man mit einigem zeitlichen Abstand die Jahre zwischen 1815 und 1848 zur „guten alten Zeit“ verklärte.

Dem „guten Bürger“ widmete Ludwig Pfau 1846 ein Gedicht. Herr Biedermeier, „Mitglied der besitzenden und gebildeten Klasse“, dienert nach oben und tritt nach unten, „und – leiht sein Geld auf Wucher aus“. Es ist die Zeit, als die Industrialisierung Deutschland erfasste und Maschinen nicht nur die schlesischen Weber ins Elend trieben. Heinrich Heine, seit 1831 im französischen Exil, ließ die Weber in einem Gedicht „den dreifachen Fluch“ weben. „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ forderte Georg Büchner 1835.

Revolution 1848 vor dem Wiesbadener Schloss

Die so gar nicht gemütliche Epoche, die die Hoffnung der Bürger auf politische Mitwirkung enttäuschte, mündete in eine Revolution. Früher als andernorts formulierten die nassauischen Liberalen nach dem Sturz des französischen Bürgerkönigtums ihre Forde-
rungen. Am 4. März demonstrierte ein Drittel der männlichen Bevölkerung des Herzogtums vor dem Wiesbadener Schloss. Den Bauern mit Dreschflegeln und Mistgabeln ging es nicht um bürgerliche Freiheiten; die blanke existentielle Not trieb sie in den Aufstand.

Es war die Zeit, in der Wiesbaden vom Ackerbürgerstädtchen mit 2.500 Einwohnern zu einer der führenden Badestädte Deutschlands aufstieg. Die Errichtung des „Cursaals“ wie der neuen Badhäuser entsprang bürgerlichem Engagement, für das die Herzöge und die Regierung die Voraussetzungen schufen. Das Mit- und Gegeneinander von Regierung und Bürgertum thematisiert die Ausstellung, indem sie der höfischen Welt die bürgerliche Sphäre gegenüberstellt.

Die Kurgesellschaft im Kurpark

Einen Eindruck vom Aussehen der Stadt und ihrer Umgebung vermitteln neben den bei der Kurgästen beliebten Badegläsern und Souveniertassen vor allem die teilweise aufwendig kolorierten Ansichten. Mit der Erfindung des Stahlstichs und die Weiterentwicklung der Lithographie waren Möglichkeiten gegeben, Wiesbadener Motive für Einheimische wie Fremde in großer Stückzahl zu mäßigem Preis herzustellen, um sich die Stadt ins heimische Wohnzimmer zu holen.

In der genauen Beobachtung und Wiedergabe der Landschaft und in der Porträtmalerei hat die Kunst der Epoche ihre reifsten Leistungen erzielt, wobei ein eigentlicher Kunstmarkt in der aufstrebende Residenz- und Kurstadt noch nicht existierte. Ludwig Knaus, geboren in Wiesbaden und einer der wichtigen Maler der Zeit, fand seine Wirkungsstätten andernorts. Anders als in den gewachsenen Residenzen fehlten die Strukturen für Kunst und Kunsthandwerk. Eine Betrachtung des Rheingaus, erst 1803 für Nassau erworben, rundet die Ausstellung ab.

Biedermeier Sitzgruppe

Einmal mehr führen die Kuratoren der Ausstellung vor, welche Schätze in den Depots verwahrt und viel zu selten gezeigt werden; sie werden ergänzt um wertvolle Leihgaben aus Privatbesitz. Sie alle sind verzeichnet in einem lesenswerten Katalog, der im Aufsatzteil alle wichtigen Aspekte des Themas beleuchtet.


Ausstellung in den Räumen der Wiesbadener Casino-Gesellschaft, Friedrichstraße 22, 65183 Wiesbaden. Bis 10. April 2015, täglich außer Montag 11.00-18.00 Uhr, Freitag bis 20.00 Uhr. Eintritt 5,00 € Euro, ermäßigt sowie Gruppen ab 10 Personen 4,00 € pro Person. Führungen durch die Ausstellung (ca. 75 Minuten) 50,00 € pro Gruppe bis 25 Personen zzgl. Eintritt in die Ausstellung.

Rainer Niebergall


Mit leichten Kürzungen abgedruckt in FRIZZ DAS MAGAZIN für Mainz, Wiesbaden und Umgebung, März 2015

Nachdruck, auch auszugsweise, nach Absprache und mit schriftlicher Genehmigung.


Rainer Niebergall – KulTour & Mehr
Stadtführungen, Stadtgeschichte, Planung, Organisation & Management

Mitglied im Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e. V.
Taunusstraße 57 • 65183 Wiesbaden • Telefon 0611 507427 • Email: Info@KulTour-und-Mehr.de

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