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Presse-Echo
Handwerker und dienstbare Geister
BERGKIRCHENVIERTEL
Stadtspaziergang durchs ehemalige Armenquartier.
Von Julia Kilian
Wiesbadener Kurier, 06.07.2009
Auf Tour: Rainer Niebergall weist seine Gäste auf Besonderheiten der Nerostraße hin. wita/Müller
EntdeckungsTour
Von Handwerkern und dienstbaren Geistern: Das Bergkirchenviertel
Nächster Termin:
7. September 2013
Zum ersten Mal führte Rainer Niebergall ... durch das Bergkirchenviertel und ließ die vergangenen Zeiten des früheren Arbeiter- und Armenbezirks aufleben. Die regelmäßigen Stadtspaziergänge ... stehen unter dem Motto "Straßen erzählen Geschichte(n)".
"Wiesbaden ist eine reiche Stadt und auch im 19. Jahrhundert immer gewesen", betonte Niebergall. Viele Menschen seien auf der Suche nach Arbeit in die wohlhabende Kurstadt gekommen, denn "wo viele Leute sind, die sich bedienen lassen, braucht man auch Leute, die bedienen."
Wohnraum wird Mangelware in der wachsenden Kurstadt. Für "Handwerker und hilfreiche Geister" soll das Viertel hinter dem alten Hospital bebaut werden. 1809 wird die heutige Nerostraße angelegt. Nach einem Modellplan entstehen kleine, niedrige, einfache Wohnhäuser. Ein Überbleibsel der damaligen Bebauung ist zum Beispiel das "Handwerkerhaus" in der Nerostraße 24.
Reizend ist das erhaltene "Bobbeschänkelche" am Röderberg: Das um 1820 gebaute Häuschen sei heute das "letzte Katzeloch" in Wiesbaden. Die Öffnungen der Unterkünfte seien so klein gewesen, "dass gerade mal eine Katze durchpasste", schmunzelt Niebergall, das ganze Viertel habe man "Katzeloch" genannt.
Um 1860 ist der Stadtbezirk von der Nero- bis zur Röderstraße, von der Schwalbacher Straße bis zum Schulberg bebaut gewesen. Soziale Einrichtungen wurden im Armenviertel immer wichtiger.
Kirche für "kleine Leute". Mit der 1879 eingeweihten Bergkirche sollten Handwerker, Dienstpersonal und Tagelöhner unter sich bleiben: Der Stadtpfarrer wollte sie nicht in seiner Kirche begrüßen. Die Bergkirche sollte für die "kleinen Leute" sein.
Wiesbaden wuchs und die kleinbürgerlichen Häuser reichten nicht aus: An allen Ecken wurde abgerissen, um- und neu gebaut. Es wurde aufgestockt, Fassaden modernisiert und mit oft schlechtem Stuck versehen. Nach außen ähneln manche Häuser mit Erker und Balkonen der großen Baukunst der Innenstadt, doch "innen bleibt es kleinbürgerlich und sehr, sehr bescheiden."
In der Nachkriegszeit schien das Bergkirchenviertel verloren: Die Häuser waren in desolatem Zustand, die Hinterhöfe völlig verbaut und das ganze Quartier überbevölkert. Alles sei "bis zum Gehtnichtmehr ausgereizt", sagt Niebergall, 70 Prozent der Wohnungen hätten keine Toilette, 80 Prozent keine Zentralheizung gehabt. Die Ärmsten der Armen hätten hier gewohnt, erinnert sich eine Teilnehmerin. Der Stadtplaner Ernst May plädierte für Kahlschlag im Viertel und entwickelte eine an die Bauhaus-Tradition angelehnte Neuplanung: "Klötzchen an Klötzchen" so Niebergall, "von der alten Innenstadt wäre nichts mehr übrig geblieben." Doch die Anwohner wehrten sich in den 70ern. Das Bergkirchenviertel wurde saniert.
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