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Reportagen
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im Quellenviertel am
13. Juli 2022
Uralte Heilkraft für ewige Jugend – Die Wasser der Mattiaker
Sunt et Mattiaci in Germania fontes calidi trans Rhenum, berichtet Plinius. Bei den Mattiakern jenseits des Rheins – er betrachtet die Dinge aus der Mainzer Perspektive – gibt es heiße Quellen, und die schätzten die römischen Soldaten, die im 1. Jahrhundert außer einem Militärlager auch eine erste Thermenanlage errichteten.
Der Riese Ekko
26 Quellen fördern in der hessischen Landeshaup-
tstadt etwa 2 Millionen Liter Thermalwasser zutage. Bei den so genannten Haupt- oder Primärquellen – Kochbrunnen, Adlerquelle, Schützenhofquelle – ist das Wasser bis zu 67 Grad heiß und weist die höchs-
te Konzentration an Mineralstoffen auf. Sekundär-
quellen bilden sich aus dem Überlauf der Hauptquellen unter der Erdoberfläche.
Verschiedene Ansichten gibt es über Entstehung der Quellen. Für Kinder ist klar: Der Riese Ekko kämpfte mit einem feuerspeienden Drachen und stieß mit seiner Lanze auf den Boden – das heiße Wasser sprudelte hervor. Geologen erklären die Dinge anders und berichten von „Verwerfungen“ an der Nahtstelle von Oberrheingraben und rheinischem Schieferge-
birge und „Quellspalten“, durch die das Wasser aus etwa 2000 Metern Tiefe aufsteigt.
Badefreuden im späten Mittelalter
Diese Quellen schätzen die Römer außerordentlich; 300 Jahre lang war „Aquae Mattiacorum“ ein pros-
perierendes Badestädtchen. Dass das Badewesen über das Ende der römischen Herrschaft hinaus Bestand hatte, legt der 828 dokumentierte Name „Wisibada“ nahe – „wisi“ wohl im Sinne von „hei-
lend“.
Nach und nach werden im Spätmittelalter die Wies-
badener Badhäuser erwähnt, voran der „Schwarze Bock“, der 1486 bezeugt ist. Bis diese Bäder aller-
dings den Luxus entfalteten, der römische Thermen auszeichnete, dauerte es noch mehrere hundert Jahre. Charlotte von Stein – Freundin Goethes – kam 1789 an, „um in einem abscheulichen Nest zu woh-
nen“. Heftig beklagt sie sich über die Spinnen und Wanzen in ihrem Quartier und kann auch der Adlerquelle wenig abgewinnen. Sie präsentiere sich „sehr unappetitlich. Die Bäder sind recht ekelhaft. Das Wasser ist heiß und schmeckt ziemlich salzig“.
"Auf unerreichter Höhe der Vollkommenkeit" - Palast Hotel
Derlei Klagen sind 100 Jahre später verstummt. Aus dem beschaulichen Badestädtchen, das um 1800 seinen Aufschwung nahm, war um 1900 eine „Welt-
kurstadt“ geworden. 200.000 Kurgäste beehrten sie jährlich mit ihrer Anwesenheit, darunter deutsche Kaiser, russische Zaren, gekrönte Häupter und der Adel aus aller Herren Länder. Wer sich ins Bad be-
gab, musste nicht krank sein, er musste sich eher amüsieren und in der besten Gesellschaft verkehren wollen. Grand-Hotels schossen wie Pilze aus dem Boden und überboten sich an Luxus und Komfort: die Rose, der Schwarze Bock, der Nassauer Hof, das Pa-
last-Hotel „auf unerreichter Höhe der Vollkommen-
heit“.
Obwohl die Häuser über elegante Badebereiche ver-
fügten und 1913 das Kaiser-Friedrich-Bad als öffent-
liches Luxus-Badehaus eröffnete, waren die eigentli-
chen Bäder für viele Gäste zweitrangig. Kurzweiliger war da schon die Trinkkur – in den eleganten An-
lagen um den Kochbrunnen nahm man ab und an ein Schlückchen aus seiner Schnabeltasse und konzen-
trierte sich auf die angenehmen Dinge des Lebens.
Der Kochbrunnen - Ansichtskarte
Der großen Zeit der Gesellschaftskur bereitete der Erste Weltkrieg ein Ende; aus der Weltkurstadt wurde ein Weltkriegslazarett. Die Kur konzentrierte sich wieder auf die medizinische Komponente – zur Behandlung von Rheuma und Gicht ist das Wiesba-
dener Wasser hervorragend geeignet und so wird es auch heute noch in den Kurkliniken genutzt; einen eigentlichen Kurbetrieb im klassischen Sinne gibt es nicht mehr.
Im Thermalbad im Aukammtal wie in den Jugendstil-
hallen der Kaiser-Friedrich-Therme steht Wellness im Vordergrund. Im Keller der Therme wird das Wiesba-
dener Thermalwasser gesammelt und aufbereitet, ehe es über Leitungen an seine Bestimmungsorte gelangt. Und da Baden in 67 Grad heißem Wasser problematisch ist, muss es auch heruntergekühlt werden. Heute kein Problem – mit der gewonnenen Wärme können zudem einige Gebäude beheizt werden.
Kurgast in Wiesbaden - Goethe
Schwieriger war es in früheren Zeiten. Man behalf sich, indem man die Badebecken befüllte, das Was-
ser über Nacht abkühlen ließ, so dass es am Morgen die richtige Badetemperatur hatte. Eine aufwändige Prozedur, die nicht ständig wiederholt werden konn-
te; das Wasser wurde weiter benutzt. Den Badegäs-
ten wurde empfohlen, möglichst früh im Bad zu sein, sofern sie Wert auf sauberes Wasser legten.
Kurgast Goethe übrigens, der 1814 und 1815 zur Kur in Wiesbaden weilte, gebrauchte die Bäder ausgie-
big. Von ihm ist überliefert, dass er morgens kaum ansprechbar gewesen sei. Während Zeitgenossen glaubten, er denke über Verse und gewichtige Dinge nach, war es wohl eher der Restalkohol, der ihm zusetzte. Dennoch quälte er sich aus dem Bett, um im Bad der erste zu sein. Mit einer Ausnahme: am 29. August 1814 – am Tag nach seinem 65. Ge-
burtstag – fiel das Bad aus. Ins Tagebuch schrieb er: „Nicht wohl. Im Bette geblieben. Mittag für mich. Zeitig zu Bette“ – am Abend zuvor war wohl heftig gefeiert worden.
Rainer Niebergall
Mit leichten Kürzungen abgedruckt in FRIZZ DAS MAGAZIN für Mainz, Wiesbaden und Umgebung, Mai 2015
Nachdruck, auch auszugsweise, nach Absprache und mit schriftlicher Genehmigung.
Rainer Niebergall – KulTour & Mehr
Stadtführungen, Stadtgeschichte, Planung, Organisation & Management
Mitglied im Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e. V.
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