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Presse-Echo
Am 14. November 1906 verließ der letzte Zug den Taunusbahnhof.
Foto: Sammlung Schaller
Am Ende wurde es dem alten Wilhelm zu bunt. Eigentlich war Wiesbaden eine der Lieblingsstädte des letzten deutschen Kaisers – gäbe es da nicht dieses ewige Ärgernis schon bei der Einreise: Gleich drei kleine Bahnhöfe fristeten in der heutigen Rheinstraße ihr Dasein, ein jeder viel zu schlicht für die adligen Ansprüche des mächtigen Mannes. Mehr noch: Wenn Wilhelm II mal umsteigen wollte, musste er einen zehnminütigen Weg zwischen den Bahnhöfen in Kauf nehmen.
„Majestätsbeleidigung“ muss sich der Kaiser da gedacht haben und forderte die Errichtung eines neuen, repräsentativen Bahnhofs. Gesagt, getan: Im Herbst 1906 wurde der jetzige Hauptbahnhof eröffnet, der Legende nach überwachte Wilhelm die zweijährigen Bauarbeiten persönlich. Zudem gönnte er sich eine kleine Extraportion Dekadenz – in Form eines eigenen „Kaisergleises“, auf dem nur er einreisen durfte.
Inzwischen ist daraus Gleis 1 geworden – vom Kaiser hat in Wiesbaden aber schon lange keiner mehr etwas zu Gesicht bekommen. Doch am Tag des offenen Denkmals 2010 werden die alten Geschichten noch einmal aufleben – kein Wunder, steht der 12. September doch unter dem Motto „Kultur in Bewegung – Handel, Reisen und Verkehr“.
„Mindestens genauso interessant wie der Hauptbahnhof sind die drei historischen Bahnhöfe in der Rheinstraße – die längst von der Bildfläche verschwunden sind“, findet Historiker Rainer Niebergall. Deshalb gilt diesen auch das Hauptaugenmerk einer Führung durch das Bahnhofsviertel am Denkmaltag. „Wir werden auf den alten Spuren wandeln, schauen, wie das alles ausgesehen hat“, kündigt Niebergall an.
Am 13. April 1840 fuhr der erste Zug im sogenannten Taunusbahnhof ein. „Diese Linie nach Frankfurt war eine der allerersten Eisenbahnstrecken in Deutschland überhaupt“, weiß der Historiker.
Die Wiesbadener beäugten das neue Reisezeitalter anfangs jedoch misstrauisch: „Ortsveränderungen mittels irgendeiner Art von Dampfmaschinen sollten im Interesse der öffentlichen Gesundheit verboten sein“, wird ein damaliger Arzt zitiert. Doch der Fortschritt ließ sich nicht aufhalten: Ab 1856 bildete der Rheinbahnhof den Ausgangspunkt für Reisende nach Rüdesheim und in Richtung Koblenz, schließlich folgte 1878 mit dem Ludwigsbahnhof eine Verbindung nach Limburg.
Jeder Bahnhof besaß ein eigenes Empfangsgebäude, um 1900 herum wurden jährlich 1,5 Millionen Fahrkarten verkauft. Das hohe Reiseaufkommen verlangte schließlich nach Alternativen. Und in der Tat hatten die städtischen Planer Großes vor: Ein neuer Bahnhof sollte die drei kleineren ersetzen, an deren Stelle ein pompöses Viertel entstehen – inklusive Regierungsgebäuden und prächtigem Triumphbogen.
Am 14. November 1906 verließ gegen Mitternacht der letzte Zug den Taunusbahnhof in Richtung Mainz. „Dort wurde er in aller Eile geschmückt, bevor er dann unter großem Getöse um 2:23 Uhr im Wiesbadener Hauptbahnhof einlief“, erzählt Niebergall. Von nun an hatten die drei Bahnhöfe in der Rheinstraße ausgedient – sie wurden nach und nach abgerissen. Aus dem geplanten Hohenzollerviertel wurde auch nichts – der erste Weltkrieg machte alle städtebaulichen Träume zunichte.
An der Stelle des Ludwigsbahnhofs steht heute übrigens das Landesmuseum, die anderen Bahnhöfe wurden durch die Rhein-Main-Halle ersetzt. „Doch einiges gibt es auch heute noch zu sehen“, sagt Niebergall. „So gibt es etwa zum Teil noch die alten Hotels und Gasthöfe für die Reisenden.“ Außerdem gibt es ja noch den Hauptbahnhof. Und wer heute mit dem Zug aus Koblenz auf Gleis 1 einläuft, der darf sich ruhig wie ein Kaiser fühlen.
Führungen durchs Bahnhofsviertel um 11 und 15 Uhr. Treffpunkt Normaluhr, Kreuzung Bahnhofs-/Rheinstraße.
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