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Die Sonnenberger Promenade

Reportagen

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entlang der Sonnenberger Promenade
Sonntag, 9. Oktober 2022, 14.00 Uhr


Promenade ins Mittelalter

Promenade ins Mittelalter - die Sonnenberger Burgruine

Als Bade- und Luxusstadt des 19. Jahrhunderts strebt die hessische Landeshauptstadt mit guten Gründen die Anerkennung als Weltkulturerbe an. Die Relikte früherer Zeiten kann man jedoch buchstäblich an den fünf Fingern abzählen. Umso wichtiger war es, den romanisch gestimmten Zeitgenossen eine Attraktion zu bieten, die sie in die Vergangenheit entführte, zu den „Schloßtrümmern“ von Sonnenberg. Die Promenade hat bis heute ihren Reiz bewahrt.

„Die erste Promenade, welche vielleicht jeder nach Wiesbaden Kommende macht, ist die nach der 20 Minuten vom Kursaal entfernten Dietenmühle. Der durch die Garten-Anlage dahin führende Weg ist fast immer sehr belebt … Burg und Dorf Sonnenberg liegen 20 Minuten weiter oben im Thal“. Goethe unternahm den Ausflug gemeinsam mit den Damen Stein am 6. August 1814 und damit just zu dem Zeitpunkt, als sich der Kurpark nicht mehr als Baustelle präsentierte. Für die Anlage des Parks wurde intensiv genutztes Bauernland kultiviert, der Rambach zum Teich gestaut. Den Wiesbadenern gefiel das so gut, dass ihnen durch Polizeiverordnung das Waschen der Wäsche im Weiher verboten werden musste. Nach Umgestaltungen zum englischen Park präsentiert sich der Kurpark heute so, wie er 1907 gestaltet wurde.

Kurdirektor Ferdinand Hey'l - immer auf der Suche nach Attraktionen

Vorbei an den Denkmälern für Ferdinand Hey’l und Gustav Freytag – der eine der „Erfinder“ der Weltkurstadt und der Kurtaxe, der andere ein im 19. Jahrhundert hoch verehrter Schriftsteller – führt der Weg durch eine malerische Engstelle im Tal. Die parkartigen Gärten der Villen entlang der Sonnenberger und Parkstraße reichen bis zum Weg; ihre noblen Schauseiten bilden die Kulisse zum Park, nicht wenige davon waren Hotels und Pensionen, die dem vornehmen Kurgast der Weltkurstadt Unterkunft „mit Ausblick“ gewährten.

An der Blumenwiese weitet sich das Tal. Sportbegeisterte Engländer erlangten 1878 die Erlaubnis, hier Cricket, Fußball und Tennis zu spielen. Allerdings befanden sie, dass das Gras zu hoch und zu nass sei, so dass ein gutes Spiel unmöglich sei. Aller Anfang war schwer. Seit 1899 wurden alljährlich im Mai Internationale Lawn-Tennis-Turiere ausgetragen, 1900 gewann ein Grieche. Der Siegespreis war eine Reiterstatue Kaiser Wilhelms II. im Wert von 200 Mark.

Die Dietenmühle - mustergültig restauriert

Das frühere Kurhotel „Dietenmühle“ ist nach Jahren der Behördennutzung vorbildlich restauriert und von unschönen Baracken und Parkplätzen befreit worden; ein stark angefeindeter zeitgenössischer Ergänzungsbau hat selbst frühere Kritiker überzeugt. Nichts außer einem Torbogen ist dagegen übrig geblieben von der alten Restauration und Kaltwasseranstalt im Tal, deren Wirt es sich um 1820 auf die Fahnen geschrieben hatte, „die Lust des von der Natur mit so anziehendem Reize beschenkten Ganges zur Dietenmühle durch Reichung echten Rheinweines und Speisen aus kunstloser reiner Küche, fortdauernd in den bekannten mäßigen Preißen, noch zu erhöhen“.

Dem üblicherweise ruhig dahin fließenden Rambach ist es kaum anzumerken, dass er nach schweren Regenfällen im März 1999 über seine Ufer trat, auf der Suche nach seinem alten Bachbett Mauern kassierte und Keller flutete, um schließlich durch die Wandelhalle des Kurhauses zu fließen. Nach Millionenschäden sind Pläne zum Hochwasserschutz entwickelt worden.

Die Türme der Burg von der Bergseite aus

In Sonnenberg – seit 1928 ein Stadtteil von Wies-
baden – angekommen, führt der Promenadenweg aufwärts. Erstmals wird der kleine Burgflecken mit seinen alten Stadttoren und der Burg auf dem „Spitzkippel“ sichtbar. Die 1890 geweihte neugotische Herz-Jesu-Kirche wurde für die wachsende katholische Bevölkerung des seit der Reformation evangelischen Städtchens gebaut. Seit 1804 waren Katholiken „amtlich geduldet“; kleinere Reibereien unter den Konfessionen führten dazu, dass die katholische Kirche eine Turmuhr erhielt, „weil die evangelische gänzlich unzuverlässig war“.

Ein Stück weit noch auf dem Promenadenweg, und die Burgruine ist erreicht. Den Grafen von Nassau diente sie zum Schutz ihrer Interessen gegen die rivalisierenden Herren von Eppstein, nachdem sie 1160/70 mit dem Fronhof zu Wiesbaden belehnt worden waren. Allerdings bauten sie – aus Unwis-
senheit oder absichtlich – auf Mainzer Besitz. Nach 20 Jahren Streit empfingen sie die Burg 1221 zu Lehen. Um den mächtigen Bergfried – den ältesten Teil der Anlage – entstanden ein weiterer Turm, Gebäude und eine Schildmauer auf dem Plateau.

Der Bergfried, ältester Teil der Anlage, ist ab dem 23.06.2012 wieder zugänglich

Graf Gerlach von Nassau – ein Sohn des 1298 im Kampf um die deutsche Krone erschlagenen Königs Adolf von Nassau – erweiterte die Burg um einen stattlichen Palas. Um sie als Sitz für seine Söhne herzurichten, wurde die Burg nochmals erweitert und erhielt nun Tortürme, einen Kapellenturm und eine mächtige Schildmauer zur Angriffsseite. Zugleich wurde der 1351 zum Städtchen erhobene Burgflecken in die Befestigung einbezogen.

Mit der Ausnahme weniger Jahre lebte nach 1404 kein Graf mehr auf der Burg. In zwei Hälften geteilt, war sie ein Wirtschaftshof; zwei Verwalter klagten bei ihren jeweiligen nassauischen Herren darüber, dass keine Ausbesserungen vorgenommen wurden. Die Dächer wurden undicht, Teile der Burg verfielen; 1602 entschied Graf Ludwig II., keine Arbeiten mehr durchführen zu lassen und die funktionslos gewordene Burg dem Verfall zu überlassen. Im Krieg zerstört wurde die Burg nie, aber in mancher Sonnenberger Mauer stecken Steine, die von der Burg stammen.

Das Städtchen hat seine Stadtmauer bewahrt

1827 sicherte man die Burg und bewahrte das Gemäuer vor weiterem Verfall. Den romantisch gestimmten Besuchern präsentierte sie sich als malerische Ruine und beeindruckte stärker als ein intaktes Gebäude. In den vergangenen Jahren sind auf der Burg umfangreiche Untersuchungen durchgeführt worden, die einige bisher unbekannte Erkenntnisse und viele interessante Funde zu Tage gefördert haben. Über die Geschichte der Burg informiert ein kleines Burgmuseum im Bergfried, das seit Ende Juni wieder für die Öffentlichkeit zugänglich ist.

Generationen von Kurgästen sind durch die Kur-
anlagen ins Mittelalter gewandert und haben den Burgberg erklommen. 1952 auch ein zehn Zentner schwerer Ochse. Er war beim Ausladen eines Vieh-
transports entwischt und den Burgberg hinaufgerast, verfolgt von den aufgeregten Metzgerburschen. Auf dem oberen Burghof angekommen, sprang er in Panik über die Mauer und blieb auf einem Mauervorsprung liegen. Die Wiesbadener Berufsfeuerwehr musste ausrücken und den Ochsen abseilen.

Rainer Niebergall


Mit leichten Kürzungen abgedruckt in FRIZZ DAS MAGAZIN für Mainz, Wiesbaden und Umgebung, Juli 2012

Nachdruck, auch auszugsweise, nach Absprache und mit schriftlicher Genehmigung.


Rainer Niebergall – KulTour & Mehr
Stadtführungen, Stadtgeschichte, Planung, Organisation & Management

Mitglied im Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e. V.
Taunusstraße 57 • 65183 Wiesbaden • Telefon 0611 507427 • Email: Info@KulTour-und-Mehr.de

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