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Reportagen
Führungen in und um Frauenstein
sind in Vorbereitung
Landpartie nach Frauenstein
„Vorbereitung. Fahrt auf den Nürnberger Hof. Mittag auf dem Hofe. Im Freien schöne Aussicht. Quarz-
felsen.“ Den Rest übergeht Goethe in seinen Notizen. Nach dem Essen betreibt er geologische Studien und kritisiert die Zeichnungen der 17-jährigen Philippine Lade. Diese zerreißt das Blatt und läuft den Hang hinauf. Goethe will folgen, gerät ins Straucheln und kann nicht mehr aufstehen; Hilfe eilt herbei. Am Ende lacht Goethe herzlich und Philippine zerfließt in Tränen. 1813 war bereits Marschall Blücher vor ihr in die Knie gegangen. Sie blieb unverheiratet, wurde 82 Jahre alt und erinnerte sich noch im Alter gerne an ihre Begegnung mit Goethe.
Goethe war hier ... und stolperte
Unweit des Nürnberger Hofs erhebt sich dort, wo sich das Ereignis zugetragen haben soll, der Goethe-
stein – ein Tetraeder, der 1932 zum 100. Todestag errichtet wurde. Von hier aus bietet sich ein sagen-
hafter Blick über Mainz, Rheinhessen, Walluf und Frauenstein, Wiesbadens westlichsten Stadtteil und „Tor zum Rheingau“, 1928 eingemeindet und mit knapp 2400 Einwohnern einer der kleinsten Vororte, der seinen ländlichen Charakter gut bewahrt.
Der Bergfried auf hohem Quarzitfelsen
Keimzelle des Ortes war die Burg auf dem steilen Quarzitfelsen, die ein 1221 bezeugter Heinrich Bode von Vrouwensteyn zusammen mit seinen Schwägern erbaut hat; ein dabei verbauter Balken wird datiert in das Jahr 1184. Damit ist die Burg das älteste mittelalterliche Bauwerk in Wiesbaden; ihr Name lei-
tet sich von „vrouwe“ (als Bezeichnung für Maria) oder dem Vornamen „Frowin“ ab. Nicht lange waren die Frauensteiner alleinige Besitzer. In finanzielle Nöten verkauften sie ihre Anteile 1301 und 1310 an die Mainzer Erzbischöfe, die fortan über die Hälfte der Burg samt Zubehör verfügten und auf dieser Grundlage eine Herrschaft errichten konnten. Das wiederum missfiel den Grafen von Nassau, die über das umliegende Land verfügten und Frauenstein mit einer Reihe von Höfen umgaben, die sie mit Gefolgs-
leuten besetzten; Ziel war es, eine Ausdehnung des Mainzer Einflusses zu verhindern. Mit der Reforma-
tion wurde Frauenstein gar ein katholisches Ein-
sprengsel in evangelischem Gebiet. Wiesbadener Katholiken, die dort keine Messe feiern durften, begaben sich zum Gottesdienst nach Frauenstein.
Der Schonbornsche Hof - ein früherer Burgmannenhof
Vorbei an einem Aussichtsturm führt ein Weg ins Tal und zur Burg, die aufgegeben und bis ins 19. Jahr-
hundert als Steinbruch missbraucht wurde. Für einen eher symbolischen Preis verkaufte das Land Hessen die Ruine an den rührigen Frauensteiner Burgverein, der 1997 mit der Wiederherstellung begann. Mit viel Herzblut und erheblichem finanziellen Einsatz wurde der baufällige Wohnturm gesichert und wieder zu-
gänglich gemacht. Bis 2004 erhielt er seinen Holz-
aufbau und ein neues Dach, in den Innenräumen entstand ein kleines Museum. Zeitweise konnten sich schwindelfreie Brautpaare auf der Burg sogar trauen lassen.
Da auf dem Felsen kaum Platz war, lagen weitere Gebäude im Tal, wo die Spuren weitgehend ver-
wischt sind. Ein Fachwerkjuwel ist das frühere Wein-
haus „Zur Burg“, 2012 in ein Wohnhaus umgewan-
delt. Es war ebenso ein Burgmannenhaus wie der Schönbornsche Hof (mit Resten mittelalterlichen Mauerwerks), der Falkersche Hof oder das Haus bei der Linde, in dem sich eines der ersten Frauensteiner Gasthäuser befand.
Frauensteiner Kinder standen Modell für die Engel
Sehenswert ist die Kirche St. Georg und Katharina, die sich aus zwei Bauteilen zusammensetzt. Weil die Mutterkirche in Schierstein die Reformation einführ-
te, erhielt die Kapelle mit spätgotischem Chor 1544 die Rechte einer Pfarrkirche und Frauenstein wurde eigenständige katholische Gemeinde; an das Kirch-
lein wurde 1953/54 ein moderner Kirchenbau ange-
fügt, der die Ausstattung der alten Kirche aufnahm. So eine über 500 Jahre alte Madonnenfigur und den Hochaltar eines Mainzer Hofschreiners, der aus dem Kloster Tiefenthal im Rheingau nach Frauenstein kam. Als das Altarbild 1850 neu gemalt wurde, er-
hielten die Engelchen die Gesichtszüge Frauensteiner Kinder. Die knorrige „tausendjährige“ Linde vor der Kirche lässt sich zurückverfolgen bis in das Jahr 1413; ihre Bezeichnung als „Blutlinde“ wird herge-
leitet von einer Sage, aber tatsächlich wurden unter der Gerichtslinde auch Bluturteile gefällt. Der Brun-
nen mit der Figur des Hl. Georg – der Patron der Ritter wie der Winzer – entstand 1978 aus Anlass der 50-jährigen Eingemeindung.
Der Goethestein über dem Herrnberg
Gasthäuser und Weingüter wie die „Linde“ und die „Krone“, die Weinhäuser Klepper und Sinz oder das Burgunderstübchen laden zur Rast; das „Festa del Caffè“ ist berühmt für seinen hausgemachten Ku-
chen. Im „Winzerhaus“ hatte der 1898 gegründete Winzerverein seinen Sitz, bis er als „Weingenossen-
schaft Frauenstein e.G.“ der größeren Keller wegen in den Grorother Hof umzog. Von der Terrasse geht der Blick zum Goethestein und zum Nürnberger Hof. Der Weg dorthin führt durch die Weinlage „Herrn-
berg“, wo die Herren auf der Burg als Gegenleistung für ihre Dienste Wingerte erhielten. Der Nürnberger Hof selbst war einer jener Höfe, mit denen die Gra-
fen von Nassau im 14. Jahrhundert die Mainzer Enklave in Schach halten wollten. Der Name ist abgeleitet von dem Wort „Norr“, das steinige Flä-
chen bezeichnet, die ungeeignet waren für Acker-
bau. „Nornberger Gewächs“ wurde in erheblicher Menge an die gräflichen Keller in Wiesbaden und Idstein geliefert; der Bedarf soll beträchtlich ge-
stiegen sein, nachdem Fürst Karl 1744 seine Resi-
denz von Usingen nach Biebrich verlegt hatte.
Wer auf der Terrasse des traditionsreichen Ausflugs-
lokals sitzt und den Blick in die Ferne schweifen lässt über Mainz, Rheinhessen und den Rheingau (bei gu-
ter Sicht bis zum Donnersberg), dem kommen wahr-
scheinlich dieselben Gedanken wie Goethe anno 1815 – „prachtvoll“.
Rainer Niebergall
Abgedruckt in FRIZZ DAS MAGAZIN für Mainz, Wiesbaden und Umgebung, Juli 2018
Nachdruck, auch auszugsweise, nach Absprache und mit schriftlicher Genehmigung.
Rainer Niebergall – KulTour & Mehr
Stadtführungen, Stadtgeschichte, Planung, Organisation & Management
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